Dorfchronik

Die Befestigung des Dorfes

Die Oberstreuer waren in unruhigen Zeiten durch ihre Lage an der Heeresstrasse zur Vorsicht und oft zur Selbsthilfe gezwungen. "Von den Schlößern zu Mühlfeld, Roßrieth und Nord

heim/Gr. (schreibt Pfarrer Müller ) wurde mancher Raubzug in die benachbarten Orte ausgeführt, auch der Adel bei seinen vielen gegenseitigen Fehden die dem Gegner gehörenden Dörfer überfallen". In deb Kriegen erlebten das Streutal viele Truppendurchzüge und Haufen von Marodeuren.


Die Kriegsführung des Mittelalters wich möglichst Entscheidungsschlachten auf offenem Felde aus. Man suchte dem Gegner viel Schaden zuzufügen, indem Raub- und Plünderungszüge unternommen wurden. Dabei hatte immer der Bauer die Hauptlast des Krieges zu tragen. Ihm wurde alles weggenommen und Haus und Hof niedergebrannt. Sie schützten deswegen ihre Dörfer nicht nur mit Mauern, Türmen und Toren, sondern sie bauten da und dort um ihre Kirchen, die Asylrecht hatten (Jeder Verfolgte war, wenn er auf der Flucht die Kirche erreichte, in Sicherheit, auch vor der Staatsgewalt ) eine Kirchenburg mit den Gaden. Gewiß konnte eine solche Gadenanlage sich nicht gegen größere Truppenteile oder im Fall einer ernsthaften Belagerung behaupten, aber gegen räuberische Überfälle oder der im Gefolge der Heere auftretenden Marodeure bot sie doch Wehr und Schutz.


Oberstreu war an seiner West-, Ost- und Nordseite mit einer Wehrmauer gegen die Au im Süden mit einem Wassergraben und einem hohen Stakettenzaun oder Palisadenzaun gegen feindliche Angriffe geschützt. In der Gemeinderechnung von 1704 ist von diesem Zaun die Rede:"dem Zimmermann die eingefallenen Stageten vor der Stiegel aufzurichten und zum Teil neu zu machen". Eine ähnliche Notiz findet sich in der Rechnung vom Jahre 1725, wo der ganze Dorfzaun zum letztenmal erneuert wurde, wieder ausgebessert wurde er 1766 und zum letztenmal wurde er 1803 erwähnt. Da erhielt die Stiegelpforte einen neuen Beschlag. Nach J. und G. Grimm, deutsches Wörterbuch, bedeutet Stiegel eine Vorrichtung zum Übersteigen eines hohen Hindernisses, in diesem Falle eines Stakettenzaunes.


Zwar war diese Dorfbefestigung ein respektabler Schutz für die Ortschaft, aber die waffenfähigen Männer von Oberstreu hätten nie ausgereicht, eine so lange Verteidigungslinie zu besetzen. Beim Mauerring einer Stadt war das leichter, weil die Häuser enger beieinander standen, während im Dorf die Höfe mit ihren Nebengebäuden eine viel größere Fläche beanspruchten. Deswegen baute man um das Gotteshaus eine Burg in der Frau und Kind, das Vieh, Proviant bei Belagerungen und die notwendigsten Habseligkeiten Schutz fanden.


Die Oberstreuer Dorfmauer hatte 3 Tore, das Ober- oder Schmiedstor (die Gemendeschmiede stand daneben), das untere oder das Schultor (neben der alten Schule) gegen Mittelstreu, das Brückentor gegen Bahra und die Stiegelpforte gegen die Au. Diese Tore wurden nach der Franc.sacra 1674 und 1689 wieder aufgebaut, nachdem sie im 30jährigen Krieg mit dem Dorf niedergebrannt waren. In den Gemeinderechnungen erscheint wiederholt der Lohn für den Neutorwächter, den Brückenschließer und den Obertorschließer.


Vor der Wehrmauer war ein Wehrgraben angelegt. Die Reste der Dorfmauer stehen an der Westseite, wenn auch stark zerfallen. Die Reste des Grabens wurden 1955/56 im Zuge der Flurbereinigung eingeebnet, als die Bauern der Hanwerksgasse eine Ausfahrt bekamen. Bei einer Reparatur der Wasserleitung im Jahre 1955 konnte der genaue Standort des Obertores festgestellt werden, als bei der Hs.-Nr.168 (Heuring#Stand 1972) die Bundesstrasse aufgerissen wurde. Ein mächtiges Fundament war zu sehen. Es verlief auf der Linie der nördlichen Hausmauer von Koob (Hs.-Nr.167) zur Nordmauer des Hauses Nr.2 (Eckert#Stand Frühjahr 1972).


Am Obertor war das Oberstreuer Feldmaß angebracht. Es war der "Oberstreuer Feldschuh". Er war 11 1/2 Zoll bayrisch lang, deren 12 eine Ruthe machten". (1 Zoll bayr.=0,292 m). Der Fedschuh, mit dem ehemals die Oberstreuer rechneten, maß also 3,358 m. Das war ungefähr eine Gerte.


In Notzeiten, deren die Oberstreuer in ihrer Geschichte viele und bittere erlebten, war ihre Kirchenburg letzte Zuflucht, eine Fliehburg für die Ortsbevölkerung. Diese Burgen hatten ihre Hauptbedeutung im 15.Jhdt., in dem die Unsicherheit z.Zt.Friedrich III. am größten war. Besonders nützlich erwiesen sich die Befestigungen auch noch im 30jährigen Krieg (E.Neidiger:"wehrhafte Dörfer im Grabfeld").


Diese Wehranlage wird in allen einschlägigen Büchern als eine der schönsten in ganz Deutschland gepriesen. Bis zum Neubau der heutigen Pfarrkirche galt sie auch als eine der besterhaltensten Kirchenburgen. Wie eine Zwingburg umgab sie das alte Dorfkirchlein mit seinem bergfriedartigen Turm, dessen Haube zuerst zwei Fachwdrkgiebel mit Satteldach waren. 25 Gaden mit Kellern lehnten sich an die mit zahlreichen Schießscharten ausgestattete meterdicke Ringmauer.

Sie waren im Unterbau aus Quadern, im Oberbau in meist reichem Fachwerk gebaut. Dieses und reichgeschnitzte Balken belebten die Fronten. Durch Querschlitze im Gebälk und kleine viereckige Fensterchen kamen Licht und Luft in die Räume.

Ein Zwischengaden mit 5 Kellern - eine ganz besondere Seltenheit bei Kirchenburgen - steht noch heute an der Ostseite in 2 m Entfernung. Nach dem deutschen Wörterbuch von J.und W. Grimm ist Gaden ein altdeutsches Wort, das ursprünglich ein Haus überhaupt bedeutete, sofern es aus einem Raum bestand. Im mittelhochdeutschen Sprachgebrauch wird es als Gemach, Zimmer, Kammer oder Gebäude zu Wirtschaftszwecken angesehen. Im nördlichen Thüringen hatte es die Bedeutung eines halb unterirdischen Raumes am Hause, der besonders zur Aufbewahrung der Milch diente.


Die Gaden waren also in erster Linie Vorratshäuser innerhalb einer Kirchenburg, in denen in Kriegszeiten alles untergebracht war, was Mensch und Vieh ernährte. Das Vieh wurde auf dem freien Platz um die Kirche gesammelt.
 

Die Vorratshäuser waren das ganze Jahr hindurch mit Feldfrüchten und den lebensnotwendigen Hausgeräten gefüllt und konnte jederzeit als Zufluchtsstätte verwendet werden.
 

"Der Grundriss der Oberstreuer Gadenanlage ", so ist in den Kunstdenkmälern Bayerns, Bd. 21, Bez.Mellrichstadt, zu lesen, "gibt den Schlüssel zum Verständnis der bisher unklaren Bestimmung der Ruine Mauersche el in Filke. Sie hat einen ähnlichen Grundriss ". Demnach ist der Turm, der dort noch steht, der Rest der Kirchenburg. Der erwähnte Band der Kunstdenkmäler Frankens enthält ein Grundriss der alten Oberstreuer Wehranlage, 5 sehr gute Fotos und eine Federzeichnung besonders schöner Gadenausschnitte. Urkundliche Nachrichten über die genaue Bauzeit der Gaden fehlen. Es ist (nach Kunstdenkmäler Frankens) anzunehmen, dass der Mauerring mit oder kurz nach der Erbauung der ersten Kirche angelegt wurde, also am Ende des 12.Jhdts oder anfangs des 13.Jhdts. Die innere Aufteilung des Raumes in Einzelgaden in der jetzigen Form ist später geschehen, was durch die Jahreszahl über den Eingängen und Stilformen bestätigt wird. Was noch steht, wurde erst wieder nach dem Markgräfler Krieg 1553 oder nach dem 30 jährigen Krieg aufgebaut.
 

Vor einem der 3 Tore der Kirchenburg, dem spitzbogigen Totenpförtchen, sagte ein Forscher:"Es ist von innen ein Kabinettstück dörflicher Wehrarchitektur". Über ihm ist eine Sandsteintafel eingemauert mit der Inschrift:"Hansß Tham Scholtes Baltßer Gotwald Valten Hoch Dorfmeister im jar Christi 1673". Der Durchgang ist gerade gedeckt. Wahrscheinlich ist 1673 die Mauer nach dem 30 jährigen Krieg ausgebessert oder erneuert worden an dieser Stelle.

Die übrigen Rundportale sind Hausteine ausgeführt und tragen die Jahreszahl ihrer Erbauung, die sich zwischen 1488 und 1600 bewegen. In der Mitte des Ostgadens ragte ein starker Wehrturm hoch. Er fiel mit einem Teil der Gaden (vergleiche die beiden Grundriss) dem Kirchenbau zum Opfer. Die Gaden sind durchwegs 2stöckig, sehr geräumig und konnten in Zeiten der Not viele Vorräte und Hausgeräte aufnehmen. Die Keller sind gut gemauert und waren sehr gesucht, weil der Teil des Dorfes, der in feuchtem Grund lag, ohne Keller war. Das ist erst anders geworden, seit die Keller wasserdicht gemacht werden können.
 

Der Kirchturm als Mittelpunkt der Kirchenburg, im Unterbau so alt wie die Gaden, hat ungewöhnlich starkes Mauerwerk und T.-Schießscharten im 2.Geschoß. Nach Westen lief die Kirchenburg in eine stumpfe Spitze mit festem Torhaus aus, war also ungeheuer wehrhaft für jene Zeit und mit dem Mut der Oberstreuer Männer wohl befähigt, jedes Raubgesindel abzuweisen, ja sogar größere Heerhaufen für längere Zeit Widerstand zu leisten.
 

Leider ist das Bild heute vollständig verändert, der Gadenring aufgerissen, die 2 Tore verschwunden. An der Nordseite stehen nur noch 2 Gaden mit dem Totenpförtchen, im Süden lediglich der große Gaden der Herrn von der Kere, auf desen Fundament seit 1957 das Rathaus steht. Links am Eingang ist das Ker´sche Wappen eingemauert. Es trägt folgende Schrift: "Anno Domini 1488 hat der ehren und Fest Kunz v.d.Kere" - der Rest ist so verwittert, dass er nicht mehr zu entziffern ist. Wahrscheinlich geht es weiter: "diesen Gaden erbaut". Es heißt also ganz: "Anno Domini 1488 hat der ehrenfeste Kunz v.d.Kere diesen Gaden erbaut". Das zweite Wappen müßte der Zeit nach dem Wappen des 60.Fürstbischofs von Franken sein, Rudolf v. Scherenberg, der von 1466 - 1495 regierte.
 

Als sich um die Jahrhundertwende, etwa 1906, die Notwendigkeit einer Kirchenerweiterung ergab, hatte die Stunde der ehrwürdigen Anlage geschlagen. Das Kirchlein war, trotz der Erweiterung unter Julius Echter, zu klein geworden, es mußte neu gebaut werden. Heimatfreunde und das Amt für Denkmalpflege setzten alle Hebel in Bewegung, um eine Lösung zu finden, die wohl eine größere Kirche gestattete, aber doch den Gadenring bestehen ließ. Eine solche wäre gewesen, die altersgraue Kirchenburg unberührt zu lassen und ein neues Gotteshaus außerhalb des Dorfes zu bauen. Aber es kam anders. Nach jahrelangen Verhandlungen und vielen Aktenwälzen aller beteiligten Behörden und des Amtes für Denkmalschutz in München wurde im Dezember 1913 mit dem Abbruch begonnen. Es war eine schwere Arbeit. Die Mauern waren wie aus einem Guß, besonders der Wehrturm schien allen Pickeln zu trotzen. Die Besitzer, die auf ihre Keller nicht verzichten wollten, wurden durch neue, unter der neu erbauten Notkirche entschädigt. Ursprünglich sollt e mit dem Kirchlein auch der Kirchturm fallen. Der aus dem 12.Jhdt. stammente Recke mit seinem ungewöhnlich starken Mauerwerk war von Julius Echter 1608 um ein Stockwerk erhöht und mit der damals üblichen Echterspitze versehen worden. In dem aufgesetzten Stockwerk zeigten sich auf allen 4 Seiten Risse, was als Baufälligkeit gedeutet wurde. Hauptkonservator Prof. Angermeier, München, besah sich 1911 den Schaden und beruhigte die Ängstlichen: "Der Turm baufällig? Der steht noch 1 000 Jahre". Also blieb er, verlor aber seine beherrschende Stelle im Kirchenbild, denn die Kirche, bisher in einer Linie mit dem Turm verlaufend (das alte Gotteshaus stand in Ost - Westrichtung) wurde quergestellt. Der Verlust an der Kirchenburg ist unersetzlich. So majestätisch und formenschön die Kirche heute mit dem alten Turm, den Steinterassen und Treppen auch wirkt, das geschlossene Bild der Wehranlage ist dahin und der Dorfcharakter von Grund auf verändert. Ein Glück nur, dass wenigstens die östliche Gadenreihe mit dem überaus reizvollen Totenpförtlein erhalten geblieben ist. Einer der sich dafür interessiert oder gar ein Kenner, kann sich die Gesamtanlage der Kirchenburg mühelos rekonstruieren.
 

Wenn man die Oberstreuer Kirchenburg als eine der besterhaltensten in Deutschland gepriesen hat, so trifft das heute (1973) nicht mehr zu. Die unerbittlich fortschreitende Zeit und Menschen mit ihrer Unvernunft haben hier hart eingegriffen und ein wertvolles, ehrwürdiges Kulturdenkmal arg zerzaust. Aber wir wollen allen dankbar sein, daß noch so viel steht und nichts unversucht lassen, es zu pflegen und zu erhalten.